Interview mit Yves Bichsel, Generalsekretär des UVEK

Bahnliberalisierung: EU übt Druck auf die Schweiz aus

Yves Bichsel über seine Arbeit als UVEK-Generalsekretär und seinen guten Draht zur SBB

Umwelt, Verkehr, Energie, Kommunikation: Das Infrastrukturdepartement UVEK von Bundesrat Albert Rösti bearbeitet ebenso umfangreiche wie politisch hochaktuelle und umstrittene Bereiche in der Schweiz. Yves Bichsel ist als Generalsekretär Koordinator und rechte Hand des Departementsvorstehers. Hier werden Anträge und Geschäfte zuhanden der Regierung vorbereitet. Ein Gespräch mit einem, der täglich an den Schalthebeln der politischen Macht in der Schweiz steht. Und dabei den Druck aus der EU, etwa im Blick auf die Liberalisierung des Personenverkehrs der Eisenbahn, spürt.

 

Herr Bichsel, seit rund einem Jahr sind Sie Generalsekretär im UVEK. Was ist das Schönste an Ihrem Beruf?

Die Vielseitigkeit im UVEK ist faszinierend. Wir haben sehr viele spannende Themen, beginnend bei den SBB, die Medien gehören dazu, Umweltfragen und vieles mehr. Was für mich besonders interessant ist: Ich habe schon in anderen Departementen gearbeitet, aber noch nie in den Themen des UVEK, obwohl ich ja aus diesem Bereich komme als Chemiker mit Doktorat in Umweltnaturwissenschaften. Ausserordentlich ist auch, dass ich meinen Chef, Bundesrat Albert Rösti, bereits seit bald 20 Jahren kenne und als sein Generalsekretär nun eng mit ihm zusammenarbeiten kann.

Sie sind promovierter Chemiker. Wie funktioniert eigentlich die Chemie zwischen Ihnen und Ihrem Chef, Bundesrat Albert Rösti?

Das ist wirklich eine spezielle Beziehung. Wir haben uns im Jahr 2005 kennen gelernt, ganz am Anfang seiner politischen Karriere. Meine Frau war mit ihm zusammen im Gemeinderat, wir kennen uns gut. Das hilft jetzt, um einander gut zu verstehen. Angesichts der Tatsache, dass wir im UVEK gemeinsam anspruchsvolle Herausforderungen angehen, ist das sehr nützlich.

«Kann man nicht ablehnen»

Sie arbeiten schon seit langer Zeit in Politik und Verwaltung, sei es auf kantonaler wie auch auf eidgenössischer Ebene. Was hat Sie dazu bewogen, vor einem Jahr die Berufung und Wahl zum Generalsekretär des UVEK anzunehmen?

Ich war zuvor während sechseinhalb Jahren beim Kanton Bern tätig. Wenn ich die Möglichkeit erhalte, für einen Bundesrat in einer so wichtigen Funktion tätig zu sein, sage ich nicht nein. Ich gehe davon aus, dass mein Chef länger im UVEK bleibt, so dass wir wohl noch etliche Jahre miteinander arbeiten können. So etwas kann man nicht ablehnen (lacht)!

Inwiefern ist es für Sie hilfreich in Ihrer politisch-strategischen und leitenden Funktion, dass Sie ausgebildeter Naturwissenschafter sind, was ja die Art zu denken stark beeinflusst?

Ich nehme für mich in Anspruch, in Studium und Doktorat gelernt zu haben, etwas präzis zu formulieren, einen Sachverhalt logisch aufbauend zu erklären und die richtigen Schlüsse abzuleiten. Es geht auch darum, welche Schlüsse man aus vorliegenden Informationen ziehen kann und welche nicht. Und wie ich das dann gut verständlich erklären kann. So ist das präzise Denken des Naturwissenschaftlers eine grosse Hilfe für meine Aufgabe.

 

Der Chef ist kein Provokateur

Wie würden Sie Ihren Chef, Bundesrat Albert Rösti, beschreiben? Warum ist er aus Ihrer Sicht besonders geeignet, Bundesrat zu sein und Vorsteher des UVEK?

Albert Rösti war bereits während elf Jahren als Energie- und Umweltpolitiker Mitglied der entsprechenden Kommission im Nationalrat. Als Ingenieur Agronom mit Doktorat hat er auch einen naturwissenschaftlichen Hintergrund. Ihn zeichnet einerseits seine Durchsetzungsstärke aus – auch gegenüber der Verwaltung, die er aus eigener Erfahrung sehr gut kennt. Er tut dies aber, ohne die betroffenen Menschen gegen sich aufzubringen oder vor den Kopf zu stossen. Er tritt nicht provokativ auf und es gelingt ihm gut, die Leute mitzunehmen. Seine hohe Durchsetzungsfähigkeit ist gepaart mit einer sehr menschenorientierten, wenig konfrontativen Eigenschaft. Das habe ich bisher noch nie gesehen bei einer anderen Person.

Ihr Chef vereint also Eigenschaften in sich, die man doch eher selten sieht bei seiner Partei, der SVP, oder?

Nein, absolut nicht! Gerade hat ja die SVP über den neuen Parteipräsidenten Marcel Dettling informiert und dazu geschrieben, dass der Kandidat durch ein freundliches Auftreten überzeuge. Und auch der bisherige Parteipräsident Marco Chiesa ist sehr angenehm im Umgang!

Vier Ministerien in einem

Kehren wir zurück zum UVEK: Umwelt, Verkehr, Energie Kommunikation – das ist ein riesengrosser Politbereich mit rund 3’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ist das nicht etwas gar viel für nur einen Departementsvorsteher? In anderen Ländern wären dies wohl eher vier verschiedene Ministerien …

Tatsächlich haben wir mit unseren sieben Ministern viel weniger Regierungsmitglieder als die anderen europäischen Länder, die eher so 20 Minister haben in der Regierung. Das hat gewiss auch damit zu tun, dass wir nicht in der EU sind. Der EU-Betrieb bedingt viele Reisen, was bei uns anders ist. Natürlich ist das UVEK ein grosses Departement, das auch begehrt ist, aber es funktioniert sehr gut.

Sie gehören also nicht zu den Befürwortern von mehr Bundesräten, um die Aufgaben breiter zu verteilen?

Nein. Unser System hat sich seit langer Zeit bewährt. Denkt man an die Präsidialsysteme in Frankreich, Amerika oder China, wo jeweils eine Person mit grossen Vollmachten das Land führt, so ist das Führen des UVEK in der Schweiz nichts Übermenschliches.

Sitzungen, Sitzungen, Sitzungen …

Wie muss man sich Ihre Zusammenarbeit mit Bundesrat Rösti vorstellen, wie häufig treffen Sie sich?

Nehmen wir den heutigen Montag: Auf unserer gemeinsamen Fahrt zur Arbeit haben wir bereits erste Dinge miteinander besprochen. Dann gab es unseren täglichen Morgenrapport um 8 Uhr. Danach waren wir in der nationalrätlichen Umweltkommission, die nach den Wahlen ihre erste Sitzung hatte und von uns einen Ausblick auf die neue Legislatur wünschte. Anschliessend trafen wir das Bundesamt für Umwelt für eine gemeinsame Sitzung. Solche Rapporte gibt es zweiwöchentlich mit jedem unserer sieben Bundesämter. Dann sah ich Albert Rösti auch noch über Mittag in einer ruhigen Minute, um einige Dinge zu besprechen. Wir sehen uns jeden Tag und haben einen engen Austausch im Verlaufe des Tages.

Das bedeutet: Ihr Tag ist vorwiegend durch Sitzungstermine strukturiert?

Das ist so, ja.

Und wann kommen Sie selber mal zum Denken über die vielen Geschäfte Ihres Departementes?

Am frühen Morgen, am Abend und am Samstag. Dabei schaue ich konsequent darauf, nicht selber Konzepte und Strategien des Departements entwickeln zu müssen. Wir haben viele sehr kompetente Fachleute in den verschiedenen Bereichen bei uns. Es geht darum, die richtigen Aufträge zu erteilen und dann das zu beurteilen, was davon zurückkommt. Es ginge nicht, wenn ich die Dossiers selber führen würde.

Verunsicherungen

Leute aus den Bereichen des Öffentlichen Verkehrs und der Medien haben mit gewissen Ängsten und Abwehrreflexen auf den Wechsel in der Leitung des UVEK reagiert, als anfangs 2023 Albert Rösti die Nachfolge von Simonetta Sommaruga antrat und es sozusagen von der ÖV-Fördererin zum Mann von Strassen und Autos ging. Wie gehen Sie um mit den damit verbundenen hohen Erwartungen und auch Ängsten?

Tatsächlich haben wir eine gewisse Verunsicherung festgestellt. Ich glaube, das gibt es oft bei einem Führungswechsel, zumal es bei uns parteimässig von der SP zur SVP ging. So war es uns wichtig, die Leute zuerst kennenzulernen und zu erklären, was wir machen wollen. Es ist für uns wichtig, Kontakte zu pflegen und zu spüren, was den Menschen wichtig ist. So haben sich Befürchtungen bestätigt und andere nicht, beispielsweise im Öffentlichen Verkehr, wo der Bund weiterhin sehr grosszügig finanzielle Mittel spricht.

Da läuft in Ihrer Arbeit also vieles über Beziehungen?

Ja, das ist in der Politik so, das ist wichtig. Es ist wichtig zu spüren, welche Anliegen die Menschen haben. Bundesrat Albert Rösti will die Leute treffen, mit ihnen reden, ihnen zuhören.

Spannungsfeld zwischen Schutz und Nutzen

Im UVEK als dem grossen Infrastrukturdepartement geht es um Umwelt, um öffentlichen Verkehr, motorisierten Individualverkehr – mit bisweilen auch sich widersprechenden Prioritäten. Gibt es da eigentlich auch mal Krach zwischen den Bundesämtern?

Wir haben schon ein Spannungsfeld zwischen Schutz und Nutzen. Es geht einerseits um den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und des Raums in der Schweiz. Andererseits geht es um den Nutzen für Verkehrs- und Energieinfrastrukturen. Da besteht natürlich ein Spannungsfeld, und die verschiedenen Ämter sind unterschiedlich ausgerichtet. Deswegen gibt es aber keinen Streit. Es ist allen bewusst, dass sie unterschiedliche Aufträge haben.

Kann man also nicht sagen, dass im UVEK unter der neuen Führung das Bundesamt für Strassen wichtiger ist als das Bundesamt für Verkehr (mit der Verantwortung für den Öffentlichen Verkehr in der Schweiz)?

Nein, das ist tatsächlich nicht so. Unter der Ägide von Bundesrat Rösti wurden sowohl für die Strassen wie auch für den Öffentlichen Verkehr Milliardenkredite von Bundesrat und Parlament verabschiedet. An beiden Orten wird viel investiert.

Forderungen der EU

Stichwort «Liberalisierung im europäischen Bahnverkehr». Wie sehen da die Pläne im Blick auf den Personenverkehr aus? Gibt es Druck von Seiten der EU?

Die EU will offenbar die bestehenden Verträge mit der Schweiz nicht mehr aktualisieren, bis wir ihre Gerichte anerkennen und ihre Gesetze übernehmen und bis die bestehenden bilateralen Verträge dynamisiert werden. Und da gehört der Landverkehr dazu. Hier verlangt die EU von uns, dass wir alles übernehmen, was in den letzten 25 Jahren auf ihrer Ebene an neuen Regeln beschlossen wurde. So will die EU, dass wir uns für den internationalen Personenverkehr öffnen. Das ist natürlich umstritten. Im Moment laufen Konsultationen mit Vertretern des Öffentlichen Verkehrs, den Gewerkschaften, den Arbeitgebern und mit den Unternehmen des ÖV. Am Schluss wird es eine Volksabstimmung darüber geben, wie wir unser Verhältnis zur EU regeln wollen.

Regelmässige Spitzentreffen

Als Generalsekretär des UVEK nehmen Sie die Rolle des Vertreters des Bundes wahr, in dessen Besitz sich die SBB befinden. Wie muss man sich diese Aufgabe vorstellen?

Viermal im Jahr haben wir ein Gespräch mit der Verwaltungsratspräsidentin, dem CEO und weiteren Vertreterinnen und Vertretern der SBB – zusammen mit den Bundesräten Albert Rösti und Karin Keller-Suter und ihren Teams. Es geht dabei jeweils um den Geschäftsstand der SBB sowie um die aktuellen Herausforderungen. Darüber hinaus sehe ich den SBB-CEO Vincent Ducrot ungefähr im Monatsrhythmus, und es gibt auch häufig telefonischen Kontakt. Wir sind in engem Austausch, das läuft sehr gut, die Kontakte sind gut und vertrauensvoll. Die SBB engagiert sich sehr für gute Beziehungen zum Bund als Eigner der SBB AG. Es ist eine „gfreuti Sach“ mit den SBB!

Bisweilen hat man den Eindruck, dass Ihr Bundesamt für Verkehr als Aufsichtsbehörde und die SBB nicht am selben Strick ziehen. Wird das besser in Zukunft?

Die beiden Organisationen haben unterschiedliche Aufträge. Da sind bisweilen divergierende Ansichten normal. Es ist uns im Departement ein wichtiges Anliegen, dass BAV und SBB in einem guten Austausch stehen.

Einschub der Redaktion: In der Zwischenzeit hat der Bundesrat eine neue Chefin des Bundesamts für Verkehr gewählt: die 49jährige Juristin Christa Hostettler kommt von der PostAuto AG und löst per 1. August 2024 den in Pension gehenden bisherigen BAV-Chef Peter Füglistaler ab.

Konkurrenz unter Eisenbahnunternehmen

Das Bundesamt für Verkehr hat in den letzten Jahren eine Konkurrenz zwischen SBB, SOB und BLS forciert – alles Eisenbahnunternehmungen in Staatsbesitz und damit hoch subventioniert. So mussten durch Übergaben einzelner Bahnstrecken, wie beispielsweise der Gotthard-Bergstrecke, einzelne Bahnunternehmungen neue Fahrzeuge beschaffen, es musste Personal ausgebildet werden, es gab personelle Verschiebungen. Sind – wenn ich das sozusagen „von unten“ her betrachte – diese ganzen Übungen nicht viel teurer, als wenn man die Verantwortlichkeiten für Strecken, Fahrzeuge und Personal so belassen hätte wie bisher?

Ich kann diese Optik schon nachvollziehen. Als Kunde des Öffentlichen Verkehrs hingegen – der ich persönlich häufig mit BLS und auch SBB fahre – kann ich die Leistungen der Bahnunternehmungen vergleichen. Ein gewisser Wettbewerb hat ein belebendes Element, das auch sinnvoll ist. Die Frage ist immer: Was ist ein gesundes Ausmass? Wir haben vorher über den Liberalisierungswillen der EU im Bahnverkehr gesprochen. Es wird bestimmt schwierig, zu erklären, dass wir mit dem EU-System eine bessere Situation im Öffentlichen Verkehr in der Schweiz haben werden. Gerade auch, wenn man den ÖV in der Schweiz mit den Nachbarländern vergleicht.

Wie häufig reisen Sie selber mit der Eisenbahn?

Eigentlich jeden Tag. Ausser wenn ich mit meinem Chef von Uetendorf nach Bern mitfahren kann, komme ich immer mit dem Zug zur Arbeit und nutze ihn auch bisweilen am Wochenende.

Kritische Medien

Als Generalsekretär arbeiten Sie an einer exponierten Stelle und stehen unter besonderer Beobachtung der Medien, die bisweilen auch ganz auf den Mann spielen. Wie gehen Sie damit um? Wo liegt bei Ihnen die Grenze zwischen aktivem Eingreifen oder auch Berichtigen und dem Ertragen und Aushalten dessen, was aus Ihrer Sicht falsch wiedergegeben wird?

Es wurde viel über mich geschrieben, auch vieles, was nicht stimmt. Ich habe nie etwas dagegen unternommen. Wir haben Medienfreiheit in der Schweiz, was unsere Demokratie auszeichnet. Wenn mich jemand auf bestimmte Aussagen hin angesprochen hat, dann habe ich Auskunft gegeben und berichtigt. Ich habe einen spannenden Job, in den ich viel Zeit und Energie investiere. Und so hatte es keine Priorität, um etwa bei Falschinformationen vor den Presserat zu gehen oder dergleichen. Eine Sache habe ich allerdings noch am Tag meiner Wahl zum UVEK-Generalsekretär getan: ich habe als langjähriger Abonnent mein Zeitungs-Abo gekündigt, nachdem ich dort Dinge über mich gelesen hatte, die jenseits von Gut und Böse waren.

Christlicher Glaube bleibt relevant

Sie sind überzeugter Christ – in einem Land mit christlicher Tradition. Bisweilen wird Ihr christlicher Glaube sehr kritisch reflektiert. Was macht das mit Ihnen?

Es zeigt mir, dass der christliche Glaube auch heute noch relevant und wichtig ist. Sonst würde man dies nicht thematisieren. Offenbar macht der Glaube etwas mit einem Menschen, was von gesellschaftlicher Relevanz ist. Und so wird es bei einem Generalsekretär eben thematisiert, dass er Christ ist. Der Glaube ist in meinem Leben tatsächlich von grosser Bedeutung.

Welche Werte schöpfen Sie für die Arbeit aus Ihrem Christ-sein?

Da ist sicher mal das Interesse für andere Menschen. Schon Jesus hatte sich interessiert für ganz verschiedene Arten von Leuten – von den damaligen hoch geachteten Gesetzesgelehrten bis zu den einfachen Menschen und denen, die gesellschaftlich geächtet waren. Und auch seine Disziplin war bewundernswert. Ich versuche, mich daran zu orientieren. Ein anderer christlicher Grundwert ist die Hoffnung und Lebensfreude. Manchmal sind wir mit sehr schwierigen Situationen konfrontiert. Deren Realitäten müssen wir uns stellen, dies aber immer auch mit der Hoffnung, dass es gut kommt.

Im Vergleich zu früher scheint das Klima in der politischen Schweiz eher kühler, konfrontativer, bisweilen auch gehässiger geworden zu sein. Entspricht das Ihren Beobachtungen?

Ich bin nicht sicher. Wenn ich beispielsweise die Situation im Bundesrat heute mit vor 20 Jahren vergleiche, dann trifft das nicht zu. Wenn ich daran denke, in welcher Schärfe man in unserem Parlament in der Zwischenkriegszeit, also in den dreissiger Jahren, geredet hat, dann ist das nicht damit vergleichbar, wie jetzt miteinander geredet wird. Ich teile also die pessimistische Sicht, wonach vieles schlechter geworden ist, nicht. In der Tendenz ist es doch so: In wirtschaftlich schwierigeren Zeiten werden die politischen Auseinandersetzungen schärfer. Läuft es wirtschaftlich gut, kann man alle Wünsche befriedigen, und dann verläuft der politische Diskurs harmonischer.

Wenn alles morgen in der Zeitung steht …

Wo gibt es in Ihrer Arbeit Sachzwänge, die bisweilen eher schwierig zu ertragen sind?

Die Arbeit in der Bundesverwaltung ist streng reglementiert. Ein Beispiel, das die Arbeit beeinflusst, möchte ich trotz seiner Wichtigkeit einmal von der anderen Seite her erwähnen: Der Bund kennt das Öffentlichkeitsgesetz, um Transparenz in die Tätigkeit der Bundesverwaltung zu bringen. Dies bedeutet: Alles, was bei uns aufgeschrieben wird, jedes Mail, das verschickt wird, ist an sich öffentlich. Dies führt dazu, dass man sich sehr gut überlegt: Was schreibe ich auf? Dies war vor 20 Jahren, als ich in der öffentlichen Verwaltung angefangen habe, noch anders. Heute weiss ich: Das, was ich heute in ein Dokument schreibe, kann übermorgen vielleicht in der Zeitung stehen, wenn dies jemand verlangt.

Da ist also immer eine Zensurschere im Kopf mit?

Das führt dazu, dass man gewisse schwierigen Dinge nur noch sagt, aber nicht mehr schreibt. Und das wird sicher auf die künftige Geschichtsschreibung Auswirkungen haben, wenn weniger verschriftlicht wird. Das sind einige Sachzwänge am Beispiel der Öffentlichkeitsgesetzes, das aber natürlich auch viele Vorteile in sich birgt.

Riesige Schäden im Gotthard-Basistunnel

Im August des vergangenen Jahres hat sich ein schlimmer Unfall mit einem Güterzug im Gotthard-Basistunnel ereignet. Die betroffene Röhre bleibt voraussichtlich bis im September dieses Jahres für die Reparaturarbeiten geschlossen. Kann man da den Schaden schon beziffern? Und wer haftet und bezahlt am Schluss?

Ich kann dem, was SBB und BAV bereits kommuniziert haben, nichts beifügen. Aber ja, es sind riesige Schäden. Und auch für das Tessin ist dies eine schwierige Situation. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass der Betrieb rasch möglichst wieder aufgenommen werden kann. Gleichzeitig zieht man gewisse Unterhaltsarbeiten jetzt vor, was Sinn macht.

Die SBB stehen unter hohem Spardruck. Gleichzeitig gibt es umfangreiche Bahnausbauprogramme: 6,4 Milliarden Franken sind für den Ausbauschritt 2025 vorgesehen, 12,9 Milliarden Franken für den Ausbauschritt 2035. Alles, was neu gebaut wird, generiert ja dann auch Unterhaltskosten – und zwar langfristig. Ist das genügend in Ihrem Fokus?

Das ist ein wichtiges Thema für uns. Es gibt nicht nur Unterhaltskosten, sondern auch Betriebskosten. Natürlich ist es politisch attraktiver, einen neuen Tunnel, eine neue Eisenbahnstrecke zu bauen, als das Geld für den Unterhalt auszugeben. In der Schweiz haben wir ein gutes Eisenbahnnetz, das auch gut unterhalten wird. Man muss aber aufpassen, dass man immer ein gutes Gleichgewicht hat zwischen Investitionen sowie Unterhalts- und Betriebskosten. Wir dürfen nicht überinvestieren und es geschehen lassen, dass man sich dann langfristig die Unterhaltskosten nicht mehr leisten kann.

Führung muss Verwaltung im Griff haben

Auf vielen Ebenen ist dies zu beobachten: Der Verwaltungsapparat wächst, die Administration nimmt viel Raum ein. Man kann immer noch mehr Excel-Tabellen erstellen, daraus folgend Arbeitsgruppen einsetzen und Projekte generieren und Regeln erlassen. Wie kann man in einer so grossen Einheit wie der Bundesverwaltung aufpassen, dass die Administration nicht einfach ungebremst wächst und wuchert und dabei viel Geld verschlingt, ohne wirklich produktiv zu sein?

Dass wir uns generell unsere stark ausgebauten Verwaltungen leisten, hängt damit zusammen, dass wir ein wohlhabendes Land sind. Da kann man Stellen schaffen für verschiedene Bereiche und vielerlei Projekte durchführen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Führungspersonen Verantwortung übernehmen und die notwendigen Entscheidungen fällen. Wo man nicht entscheiden will, setzt man eine Kommission ein und verlangt Berichte, um dann zu entscheiden. Oft kann man aber ohne diesen Weg umgehend entscheiden.

Es ist Aufgabe der Führung, die Administration im Griff zu haben. Das ist ein Knochenjob. Es ist inhärent zum Beispiel für eine ÖV-Unternehmung oder für die öffentliche Verwaltung, dass Führungspersonen halt auch darüber definiert werden, wie gross ihre Bereiche sind. So entsteht die Tendenz, dass man für sich neue Stellen verlangt, wobei das zuoberst in der Führungskette immer wieder abgelehnt werden muss und man die Kraft haben muss zu sagen: „Nein, du erhältst nicht mehr Leute für deinen Bereich“. Diese Kraft fehlt aber häufig.

Kurze Frage – kurze Antwort

Zum Schluss noch: kurze Fragen – kurze Antworten:
Was freut Sie besonders im Blick auf den Öffentlichen Verkehr in der Schweiz?

Zuverlässigkeit und die flächendeckenden Leistungen.

Was ärgert Sie am Öffentlichen Verkehr?

Der Abfall, der im Zug herumliegt.

Was ist wichtiger: Bahnausbau oder Ausbau der Strassen?

Es ist beides wichtig.

Sie sind zweisprachig französisch-deutsch aufgewachsen. In welcher Sprache träumen Sie?

Jetzt deutsch, früher auch französisch.

Könnten Sie sich vorstellen, in einem anderen Departement als dem UVEK zu arbeiten?

Ja, ich habe ja auch bereits in anderen Departementen gearbeitet.

Was war Ihr Kindertraum den Beruf betreffend?

Ich wollte mal Archäologe werden. Aber ist schon lange her (lacht). Auch Geschichte hat mich sehr interessiert. Ich habe mich dann für die Chemie entschieden, weil ich da eine berufliche Zukunft sah. Ich habe dann aber keinen Tag in der Chemie gearbeitet.

Wenn Sie drei Wünsche für das UVEK für dieses Jahr frei hätten: Was würden Sie sich wünschen?

Unfallfreiheit – auf der Schiene, den Strassen, in der Luft, bei der Stromproduktion. Zweitens: dass die Projekte für neue Stromproduktionsanlagen vorankommen. Und drittens: die Weisheit für uns in der Führung des UVEK, täglich zu entscheiden, was wirklich das Prioritäre ist. Es werden sehr viele Anliegen an uns herangetragen, und wir müssen immer entscheiden: was ist wichtig, was weniger.

Findet sich der Wolf, mit dessen Abschuss oder Nichtabschuss sich Ihr Departement in einem emotional aufgeladenen Umfeld auch beschäftigt, auf der Liste Ihrer Lieblingstiere?

Nicht speziell, nein (lacht).

Herr Bichsel, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

 

Interview: Urs Scherrer, Lokführer SBB, Depot Zürich.

 

Yves Bichsel – zur Person

Der 52-jährige Yves Bichsel ist seit einem Jahr als Generalsekretär des Eidgenössischen Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) als rechte Hand von Bundesrat Albert Rösti tätig. Der promovierte Chemiker (Dr. sc. nat.) arbeitete bereits früher an massgebender Stelle in der Bundesverwaltung und zuletzt in der Verwaltung des Kantons Bern. Yves Bichsel ist Vater von vier erwachsenen Kindern, wohnt in Uetendorf im Kanton Bern, am selben Ort wie sein Chef. Seine Hobbys sind Wandern und Lesen.

 

Bildlegenden:

Bild 1: UVEK-Generalsekretär Yves Bichsel: regelmässige Spitzentreffen mit der SBB.

Bild 2: Umwelt-, Verkehrs-, Energie- und Kommunikationsministerium: Yves Bichsel betreut in Bern zentrale Anliegen der Schweizer Politik.

Bild 3: «Der christliche Glaube macht mit Menschen etwas, was gesellschaftlich relevant ist.»

Bild 4: «Wettbewerb hat ein  belebendes Element.»

Bild 5: Verhältnis zur EU: «Am Schluss wird es eine Volksabstimmung geben.»

Bild 6: «Menschenorientiert und durchsetzungsstark: Bundesrat Albert Rösti. (Bild: UVEK)

Bild 7: Der Unfall im Gotthard-Basistunnel vom vergangenen Sommer hat riesige Schäden verursacht. (Bild: SBB)

Bild 8: Der «Astoro» verkehrt täglich zwischen Zürich und München in Zusammenarbeit zwischen SBB, DB und ÖBB. Werden bald schon private Eisenbahnunternehmen im Schweizer Personenverkehr mitmischen?

This is a unique website which will require a more modern browser to work! Please upgrade today!