Ivo Hutter
RhB: Eisenbahn für Fotografen und Velofahrer

Für fast 400 Millionen Franken kauft Ivo Hutter, Leiter Rollmaterial der Rhätischen Bahn (RhB), neues Rollmaterial ein. Der Bündner, gelernter Maschinenzeichner und Absolvent des Neutechnikums Buchs, leitet 240 Mitarbeiter. Ein Gespräch über WC-Störungen, Wünsche fotografierender Touristen, 30.000 beförderte Velos und über die Frage, was die RhB besser macht als die SBB.


 

Sie waren früher bei der Ems-Chemie tätig. Das ist schon ein bisschen etwas anderes als ein Eisenbahnbetrieb wie die RhB, oder?

In der Materie unterscheidet sich das schon, gewiss. Ich war aber in der Produktion tätig. Und da sind die Unterschiede nicht so gross. Es geht im Wesentlichen immer darum, technisch weiterzukommen und die Kosten im Griff zu behalten. In Sachen Werte und Kultur ist die Eisenbahn etwas komplett anderes. Wahrend die Chemie voll auf Profit getrimmt ist, steht bei der RhB der Mensch – als Kunde und als Mitarbeiter – mehr im Zentrum. Daraus ergibt sich auch eine ganz andere Zusammenarbeit.

 

Sie erleben mit der Anschaffung von 36 neuen Flügeltriebzügen bei Stadler Rail gerade den grössten Rollmaterialeinkauf der Geschichte der RhB. Was sind dabei die grössten Herausforderungen?

Einerseits ist diese Beschaffung für fast 400 Millionen Franken eine finanzielle Herausforderung. Auf der anderen Seite stehen die technischen Aspekte: Bis anhin mussten neue Fahrzeuge bei uns technisch rückwärtskompatibel sein. Ein modernes Fahrzeug wie ≪Allegra≫ musste mit anderen 125-jahrigen Fahrzeugen technisch kompatibel und kombinierbar sein. Mit den neuen Flügeltriebzügen bauen wir aber nun einen neuen Standard auf. Sie müssen nicht mehr kombinierbar mit den alten Fahrzeugen sein. Bei dieser Ausschreibung haben wir uns entschieden, das Pflichtenheft für die Ausschreibung im Gegensatz zu früher schlank und funktional zu halten. So hoffen wir, die Innovation beim Lieferanten nicht zu blockieren. Und wir lassen ihm seine Verantwortung.

Welche besondere Anforderungen an das Rollmaterial stellen sich angesichts der «Alpenbahn» RhB?
Rund 70 Prozent unserer Strecke befindet sich auf über 1.500 Metern über Meer. Das bringt vor allem auch im Winter hohe Anforderungen mit sich. Vom Bernina (2.253 m.ü.M.) geht es in einer Fahrt hinunter nach Tirano (441 m.ü.M.). Da wird das Material, z. B. die Bremsen, natürlich extrem belastet. Vor allem der Unterhalt des alten Rollmaterials ist da natürlich eine zünftige Herausforderung für uns.

Die SBB erleben ja bei der Beschaffung und Inbetriebsetzung der neuen Bombardier-Schnellzüge allerlei Verspätungen und Schwierigkeiten. Wie wollen Sie solches bei Ihren neuen Flügeltriebzügen vermeiden?
Schwierige Frage! Wir versuchten, bereits in der Konzeptphase sehr detailliert vorzugehen und Einigungen mit dem Hersteller zu finden. Trotzdem erleben auch wir eine kleine Verzogerung: Stadler Rail musste die Auslieferung der ersten drei Fahrzeuge um drei Monate verschieben. Wichtig für uns ist: Die Fahrzeuge müssen funktionieren, wir haben keinen Platz, sie herumstehen zu lassen. Wir werden also bei den Werkabnahmen konsequenter sein müssen und die Fahrzeuge erst zu uns überführen, wenn sie wirklich bereit sind.

Sie sind als Herr über 1094 Fahrzeuge auch für die Instandhaltung zuständig. Welche Störungen an den Fahrzeugen gibt es bei der RhB am häufigsten zu bearbeiten?
Zu den häufigsten gehören die WC-Störungen – besonders ärgerlich für unsere Kunden. Nach vielen Klimastörungen der Vergangenheit haben wir dieses Problem nun in den Griff bekommen. Diesen – heissen – Sommer über hatten wir sehr wenige Klimastörungen.

Die RhB erfüllt im Bündnerland denselben Auftrag wie die SBB in der Restschweiz. Was macht die RhB besser?
Die Anforderungen sind sehr unterschiedlich. Drei Viertel unserer Kunden gehören zum Freizeitverkehr, nur ein Viertel ist Pendelverkehr. So haben wir andere Anforderungen an den Kundenservice, Stichwort ≪Freundlichkeit≫. Unsere Zugbegleiter sind extrem freundlich und zuvorkommend. Im Vergleich zur SBB sind wir wahrscheinlich auch etwas agiler.

Welchen Einfluss hat der Tourismus auf die Beschaffung des Rollmaterials?
Einen sehr grossen! Da gibt es zum Beispiel die Frage: Wie kann man gut aus dem Zug heraus fotografieren? In unseren neuen Zügen wird man deshalb pro Abteil zwei Fenster haben, die sich öffnen lassen. Und wir bauen zusätzliche Veloplatze ein. Allein im Juli haben wir 30.000 Velos befördert.

Bei der Eisenbahn stehen sich ja bisweilen zwei beinahe unversöhnliche Lager gegenüber: Die «Macher» an der Front, die klassischen Bähnler, Schrauber, Leute mit direktem Kundenkontakt – und andererseits die vielen Büros, wo viele Ideen ausgeheckt werden. Wie wollen Sie den Spagat schaffen, die beiden Gruppen zusammenzubringen, Verständnis, Wertschätzung zu schaffen?

Uns ist die bereichsübergreifende Zusammenarbeit wichtig. Zukünftig soll jeder Mitarbeiter einen Mitarbeiter eines anderen Bereichs einen halben Tag begleiten dürfen. Um mehr Verständnis füreinander zu entwickeln. Überdies wird bei Teamanlassen jeweils etwas aus anderen Bereichen angeschaut. Dieses Thema ist aber schon schwierig, und das gegenseitige Verständnis gelingt nicht immer gleich gut. Doch auch wenn dies ein herausforderndes Thema ist, glaube ich, dass wir schon heute ganz gut unterwegs sind.

Welche Prinzipien und Werte sind Ihnen in der Führung Ihrer Mitarbeiter wichtig?
Ich möchte, dass wir authentisch sind. Ich möchte eine vernünftige Streitkultur. Wir streiten viel, und dabei kann es auch emotional werden. Dennoch sollen die Diskussionen auf einer sachlichen Ebene bleiben, ohne dabei nachtragend zu sein. Ehrlichkeit ist auch sehr wichtig: Wer Fehler macht, soll dazu stehen. Und auch Loyalität ist wichtig. So versuche ich, meine Mitarbeiter möglichst gut in der Geschäftsleitung und in den anderen Bereichen zu vertreten. Überhaupt denken wir weniger hierarchisch als früher. Jeder macht seinen Job zum Besten der RhB und der Kunden.

Herr Hutter, herzlichen Dank für dieses Interview!

Das Interview führte: Urs Scherrer, Lokführer SBB Personenverkehr

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