Am 2. Februar 1990 hat ein Ereignis mein Leben total auf den Kopf gestellt. Ein Moment, der viele Fragen aufgeworfen hat nach dem „Warum“ und „Wozu“ des Lebens. Dabei hatte alles so gut angefangen. Ich war damals 24, wohnte in Frankfurt/Main, arbeitete seit zwei Jahren als Lokführer, meist im S-Bahn-Verkehr. Ich hatte Freude an meiner Arbeit und Freunde in meiner Kirchengemeinde, bis…….. dann am 2. Februar 1990 alles anders kam.
Ich fuhr die S-Bahn von Wiesbaden nach Frankfurt. Alles war normal, das Wetter schön. Der Zug hält im Bahnhof Rüsselsheim, Türen öffnen sich, Leute steigen ein und aus, ein Blick zum Signal, alles in Ordnung, „bitte zurückbleiben“ in Mikro reinsprechen, ein Blick zum Bahnsteig, Türen schliessen sich, alle Anzeigeeinrichtungen des Fahrzeuges o.k., Fahrschalter nach vorne gelegt, (sind die Türen wirklich zu, fahre ich nicht zu schnell oder zu ruckartig?), noch ein Blick auf das näherkommende Signal: „Scheisse!“, das Ding zeigt ja Halt!! Schocksekunde, Schnellbremsung, Bremse unterstützen mit Sandzugabe, auf dem Gegengleis kommt eine S-Bahn entgegen, ein letztes Winken (den Lokführer kannte ich von flüchtigen Gesprächen), Filmriss.
Habe ich das Chaos verursacht?
Ich wache auf, weiss gar nicht wo ich bin. Schmerzen, Infusion am Arm, EKG-Piepsen, Verwirrung. Warum wache ich hier auf? Eben war ich doch noch auf der S-Bahn! Habe ich das Chaos verursacht? Stimmt das mit den zwei zusammengestossenen S-Bahnen und den 17 Toten, was mir der Pfleger eben erzählt hat? Dann bin ich doch der Verantwortliche, der Verursacher, der Schuldige – oder? Habe ich 17 Menschen getötet? Hab‘ ich nicht richtig aufgepasst? Aber das Signal war doch auf „Fahrt“ als ich losgefahren bin – oder nicht? Gott hilf mir!… Kannst Du das denn? Gibt es Dich überhaupt? War mein Gedankengebäude mit diesem Jesus Christus nur Selbstlüge, Illusion? Haben die Leute Recht, die sagen, es gibt keinen Gott, alles ist nur Zufall? Mein Schreien nach diesem Gott wird immer lauter, meine Fragen intensiver, meine Hilflosigkeit immer grösser. Aber, wenn es keinen Gott gibt, dann hat doch auch mein Leben keinen Sinn, dann ist auch mein ganzes Leben eine Lüge! Warum ich? Warum konnte ich nicht auch sterben, wie die 17 anderen? Wie geht es mit meinem Leben weiter? Wird überhaupt noch jemand was mit mir zu tun haben wollen, nachdem ich soviel kaputt gemacht habe? Die werden mich doch bestimmt alle fallen lassen: meine Arbeitgeber, Familie, Freunde, Kirchengemeinde – wenn ich nicht mehr der fröhliche lockere Strahlemann Helmut bin sondern jemand der 17 Menschenleben auf dem Gewissen hat!
Wer ist dafür zuständig?
Andererseits – kann das wirklich Zufall sein, dass ich noch lebe? Wer ist dafür zuständig? Wie kann ich das einordnen, dass mir die Menschen nur hilfreich begegnet sind, wer hat zu verantworten, dass ich keinen Alptraum über das Unfallgeschehen habe, dass sogar die „Bild“ von mir als vorbildlichem Christen sprach? Es drehte sich alles in mir. Die eine Stimme in mir sagte „Ja es gibt einen Gott, der dir geholfen hat und dir weiterhelfen möchte“ und die andere „Lass doch die Finger weg von diesem Selbstbetrug“.
Ich bekam eine andere Sichtweise
Aus diesen Fragen rausgeholt hat mich unter anderem ein väterlicher Freund. Er machte mir klar, dass in der Bibel steht: „Seid dankbar in allen Dingen“. Es steht dort nicht „für alle Dinge“, sondern „in allen Dingen“. Das heisst für mich, dass dieser Gott, an den ich vor meinem Unfall geglaubt habe, der half mir auch während und nach dem Unfall. Und durch die Tatsache, dass ich „Danke“ sagen lernte, bekam ich eine andere Sichtweise der ganzen Situation. Ich lernte mein Leben neu zu gestalten, ansatzweise zu verstehen, was Gott mit mir vorhat, nämlich von meinem Glauben zu reden und ihn an andere Leute weiterzugeben. Gott ist für mich nicht mehr die Person, die mir nach einem Gebet automatisch etwas Schönes schenkt, sondern jemand dessen Wege man nicht immer versteht, bei dem man aber davon ausgehen muss, dass er mir in meinen schlimmsten Zeiten und Situationen helfend zur Seite steht.
Helmut Hosch, wohnhaft in Frankfurt, verheiratet und Vater von zwei Kindern.